Ein ohrenbetäubendes Klappern ließ mich herumfahren. Es klang, als würden hunderte Dominosteine fast gleichzeitig umfallen. Was ich stattdessen sah, war allerdings nur die große Anzeigetafel in der Bahnhofshalle, auf der über die abfahrenden und ankommenden Züge informiert wurde. Es hatte sich wohl gerade ein Zug verspätet oder war abgefahren. Die Anzeige wurde in diesem Moment aktualisiert.

Hunderte Täfelchen aus Plastik, die wie kleine Schaufelräder aufgehängt waren, fielen nach unten und gaben die hinter ihnen versteckten nächsten Buchstaben oder Zahlen frei. War dieses noch nicht das richtige, klappte das nächste auf, bis schließlich der korrekte Zielort des jeweiligen Zuges zu lesen war. Ein beeindruckendes Werk der Mechanik in einer digitalen Umwelt. Und, sieht man von gelegentlichen Aussetzern einzelner Buchstaben ab, es tat meist zuverlässig seinen Dienst.

Damit ist es jetzt vorbei. Die Bahn investiert als modernes Technologieunternehmen in Zukunft. Deshalb werden die alten „Zugzielanzeiger“ (Bahndeutsch) ausgetauscht und durch zeitgemäße elektronische Displays ersetzt. Ein normaler alltäglicher Vorgang, der uns kaum berührt. Eher wird der eine oder andere unter uns darüber staunen, dass es die mechanischen Anzeigetafeln überhaupt noch gab. Und doch werden wir einmal mehr Zeugen des Untergangs einer Epoche, wird unser digitales Leben um eine sinnliche (analoge) Erfahrung ärmer. So, wie elektrische Lampen keine Gerüche mehr verbreiten, machen elektronische Anzeigetafeln (im Normalfall) keine Geräusche mehr.

Muss man das Beklagen? Immerhin verschwindet damit auch eine vom Menschen gemachte Lärmquelle, über die sich im Falle der Anzeigetafeln bisher allerdings kaum jemand beschwert haben dürfte. Aber lassen wir die Symbolik des Vorgangs gelten. Vielleicht führt der Siegeszug der Digitalisierung ja tatsächlich zu einer Reduzierung der akustischen Umweltverschmutzung. Der Lüfter meines Rechners lässt mich zuweilen allerdings an dieser These zweifeln. Aber das nur am Rande.

Bleibt noch der Verlust des Sinnlichen. Ihn empfinden viele Menschen, mich eingeschlossen, im Zuge der Digitalisierung tatsächlich als schmerzlich. Trost spenden am ehesten ästhetische und haptische Ausreißer in der elektronischen Warenwelt.

Schwer fällt es mir, generationsbedingt, über die sinnliche Ersatzbefriedigung virtueller Welten zu urteilen. Ich ahne aber, dass sich dort, insbesondere im Zuge der 3D-Visualisierung Alternativen auftun. Wenn nicht, bleibt immer noch die Auszeit aus der digitalen Welt und der temporäre Rückzug in die analoge, früher hätte ich gesagt „die wirkliche Welt“. Also raus ins Freie und dem den Frühling ankündigenden Vogelgezwitscher gelauscht. Und ich spreche von Gezwitscher, nicht von geTwitter.”