Fahre ich morgens mit der S-Bahn stadteinwärts, so bin ich unter meinesgleichen. Leute halt, die im Büro arbeiten, auf dem Weg dahin ihren ersten Kaffee im Starbucksbecher trinken und gegen 9 Uhr am Schreibtisch sitzen. Neulich musste ich allerdings nicht ins Büro, sondern zum Flughafen. Der Termin in Köln war um neun, der Flieger ging um sieben, kurz nach fünf fuhr ich mit der S-Bahn.
Obwohl ich mit der gleichen Linie wie sonst fuhr, saßen dort auf einmal ganz andere Leute. Einige Männer trugen blaue Arbeitshosen und schwere Schuhe mit dicken Sohlen. Hier und da Thermoskannen, aus denen der erste Kaffee getrunken wurde. In den kräftigen Händen Tageszeitungen mit großen farbigen Schlagzeilen und vielen Bildern.
Ich hatte eine Zeitreise in ein anderes Milieu gemacht, von dem ich zwar wusste, dass es existiert, dessen Akteuren ich aber kaum begegnete. Jetzt war mir auch klar, warum. Es existiert so etwas wie eine soziale Zeitverschiebung, die offensichtlich zwischen zwei und drei Stunden beträgt. Warum reicht sie aus, die Begegnung unterschiedlicher sozialer Schichten deutlich einzuschränken?
Es ist einfach, aber effektiv: Wer um sechs Uhr morgens zu arbeiten beginnt, der geht bereits am Nachmittag shoppen und abends beizeiten Schlafen. Wer um neun Uhr anfängt zu arbeiten, ist abends damit fertig und unternimmt erst dann möglicherweise noch etwas. Da ist es fast folgerichtig, dass man sich kaum über den Weg läuft, obwohl man denselben benutzt.
Aber warum fängt man im Gewerbe so zeitig, im Büro hingegen so spät am Tag an zu arbeiten? Irgendwie erinnert mich das Ganze an eine vergangen geglaubte Zeit, als das Dienstpersonal morgens zeitig aufstand, um zu heizen und Speisen zuzubereiten. Es galt, damit fertig zu sein, bevor die Herrschaft ihren Tag begann.
Sollte diese Zeiteinteilung bis heute überlebt haben?